Die EU sollte die europäischen Unternehmen dazu ermutigen, unterschiedliche Cloud-Technologien zu übernehmen und darüber hinaus neue Interoperabilitäts-Standards zu fördern, fordert Jérôme Lecat, CEO, Scality. (English version below)
Nach fast einem Jahrhundert der Globalisierung stehen Nationen, Organisationen und Individualpersonen in enger Verbindung – und sind zugleich voneinander abhängig. Ein Bereich, der dies besonders veranschaulicht, ist die digitale Wirtschaft, die auf amerikanische Prozessoren wie Intel oder AMD sowie Chips von TSMC in Taiwan angewiesen ist. Die Frage der Souveränität im Kontext der Globalisierung ist eigentlich eine Frage der relativen Unabhängigkeit – wie kann die Europäische Union als Ganzes oder auch ein einzelnes Land genügend Unabhängigkeit bewahren, um eine Politik zu verfolgen, die mit seinen Werten übereinstimmt?
Zwei Seiten einer Medaille: die digitale Wirtschaft und die Cloud
Entscheidend für die Fähigkeit von Unternehmen und Staaten, wettbewerbsfähig zu bleiben, sind ihre digitalen Infrastrukturen. Dazu gehören insbesondere auch ihre Cloud-Strategien. Vor dem Hintergrund der Vierten Industriellen Revolution, die Geschäftsprozesse in fast allen Bereichen der Wirtschaft verändert, können es sich Organisationen und Regierungen nicht leisten, beim Aufbau und der Pflege effektiver digitaler Infrastrukturen zurückzubleiben. Die EU benötigt zwar eine relative Unabhängigkeit, um ihre eigene Politik wie etwa die Datenschutzgrundverordnung zu gestalten, muss aber zugleich auch sicherstellen, dass sie Zugang zu modernsten digitalen Technologien hat, um als starker globaler Akteur wahrgenommen zu werden.
Neben dem Schauplatz der Politik stehen auch die Arbeitsplätze der Zukunft auf dem Spiel. Die wertvollsten Arbeitsplätze sind diejenigen, die nicht automatisiert werden können, weil sie Sorgfalt, Kreativität und Anpassungsfähigkeit an reale Situationen erfordern. Wenn die führenden Kräfte in der digitalen Wirtschaft allesamt ausländische Unternehmen sind, ist es wahrscheinlich, dass sich dies im Laufe der Zeit negativ auf die europäischen Technologiearbeitsplätze auswirken wird.
Mit Blick auf die Öffentliche Cloud haben AWS, Microsoft und Google in Europa einen Marktanteil von 72 %. Diese US-Unternehmen sind nicht nur marktbeherrschend an sich, sondern auch technisch führend. Im Gegensatz dazu ist der Marktanteil der europäischen Cloud-Anbieter von 27 % im Jahr 2017 auf heute 13 % gesunken. Im Vergleich zu US-amerikanischen Unternehmen haben europäische Organisationen Cloud-Technologien aufgrund von Bedenken hinsichtlich der Sicherheit und dem Verbleib von Daten weitaus langsamer eingeführt – was letztlich ihre digitale Effektivität behindert.
Es wäre unklug, europäischen Unternehmen und Regierungen zu verbieten, die großen Öffentlichen, US-amerikanischen Cloud-Lösungen zu nutzen. Ein Handlungsstillstand wäre aber ebenfalls unklug. Ersteres würde zu einem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit führen, letzteres zu einem Verlust an Unabhängigkeit.
Ganz auf Augenhöhe: vier praktische Sofortmaßnahmen
Stattdessen muss die EU die europäischen Unternehmen dazu ermutigen, unterschiedliche Cloud-Technologien zu übernehmen und darüber hinaus neue Interoperabilitäts-Standards zu fördern. Dies kann auf vier Arten geschehen:
- Festlegung von Interoperabilitäts-Standards für die Cloud:
Die Bindung von Anbietern oder Kunden ist kein neuer Begriff. Führende Unternehmen der Computerindustrie, einschließlich der Anbieter öffentlicher Clouds, haben lange Zeit eine Strategie verfolgt, die ihre Kunden von ihren Technologien abhängig macht. Dies ist für die digitale Effizienz nicht förderlich. Unternehmen müssen in der Lage sein, eine echte hybride und Multi-Cloud-Strategie zu verfolgen, bei der sie die Cloud-Infrastrukturen auswählen können, die für jeden ihrer Anwendungsfälle am besten geeignet sind. Die EU muss eine Rolle bei der Förderung von Interoperabilitätsstandards zwischen Clouds übernehmen.
- Förderung der Einführung Privater Clouds:
Die politischen Entscheidungsträger müssen die Nutzung privater Clouds als Alternative zu öffentlichen Clouds oder zusätzlich zu diesen fördern. Unternehmen, die private Clouds einsetzen, profitieren von ähnlichen Effizienzgewinnen wie bei der öffentlichen Cloud und entwickeln gleichzeitig ihr eigenes Fachwissen über Cloud-Technologien. Der Wechsel zur öffentlichen Cloud bedeutet, dass dieses Wissen an den Cloud-Anbieter ausgelagert wird. Außerdem wissen Unternehmen, die eine private Cloud einsetzen, dass sie die Kontrolle über ihre Daten und ihre Infrastruktur haben. Oft ist es die Sorge, diese Kontrolle zu verlieren, die Unternehmen davon abhält, die Cloud und die damit einhergehende digitale Effizienz zu nutzen.
- Unterstützen des Buy European Act:
Die IT-Branche ist innovationsgetrieben. Für mittelständische Unternehmen stellt es eine der größten Herausforderungen dar, nachhaltig zu agieren. Sie verfügen nicht über die erforderlichen Mittel zur Aufwendung für Forschung und Entwicklung. Um die Herausbildung europäischer Marktführer zu ermöglichen, müssen die europäischen Kunden ermutigt werden, Produkte europäischer Unternehmen gegenüber außereuropäischen zu bevorzugen. Dies wird große Auswirkungen haben und es europäischen Unternehmen ermöglichen, eine kritische Masse aufzubauen, F&E-Budgets aufzustocken und sich darüber hinaus einen Vorteil gegenüber ihren Konkurrenten zu verschaffen.
- Weitere Finanzierung des Aufbaus von Cloud-Infrastrukturen:
In der EU gibt es nur wenige Scale-ups mit Blick auf Cloud-Infrastrukturen, insbesondere solche mit internationaler Präsenz. Obwohl sich die Finanzierung von Scale-ups in den letzten zehn Jahren verbessert hat, sind diese wachsenden Organisationen im Vergleich zu ihren US-amerikanischen Pendants weiterhin unterfinanziert.
Wir stehen erst am Anfang des digitalen Wandels hin zur Cloud, trotz all des Hypes und der internationalen Schlagzeilen. Die Ausgaben für Cloud-Infrastrukturen liegen durchweg höher als für andere Technologien. IDC prognostiziert, dass die Kosten für Cloud-Infrastrukturen zwischen 2021 und 2026 eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate (CAGR) von 12 % aufweisen werden. Demnach werden sie im Jahr 2026 134 Milliarden US-Dollar erreichen und 67,9 % der Gesamtausgaben für Rechen- und Speicherinfrastrukturen ausmachen.
In den nächsten 10 Jahren werden wir eine Kombination aus Private Cloud, Public Cloud und Edge erleben, zusammen mit neuen, potenziell paradigmenverändernden Technologien wie etwa Blockchain oder Quanten-Computing. Damit die EU in einer sich ständig weiterentwickelnden Branche wettbewerbsfähig und relativ unabhängig bleiben kann, müssen die europäischen Unternehmen schrittweise zu führenden Akteuren in der digitalen Wirtschaft werden.
English version
Cloud and digital sovereignty
The EU should encourage European companies to adopt different cloud technologies and also promote new interoperability standards, demands Jérôme Lecat, CEO, Scality.
After nearly a century of globalization, nations, organizations and individuals are closely connected – and at the same time interdependent. One area that particularly illustrates this is the digital economy, which relies on American processors such as Intel or AMD, as well as chips from TSMC in Taiwan. The question of sovereignty in the context of globalization is really a question of relative independence – how can the European Union as a whole, or even an individual country, retain enough independence to pursue policies consistent with its values?
Digital economy and the cloud
Crucial to the ability of companies and states to remain competitive are their digital infrastructures. This includes, in particular, their cloud strategies. Against the backdrop of the Fourth Industrial Revolution, which is transforming business processes in almost every sector of the economy, organizations and governments cannot afford to lag behind in building and maintaining effective digital infrastructures. While the EU needs relative independence to shape its own policies, such as the General Data Protection Regulation, it also needs to ensure that it has access to cutting-edge digital technologies in order to be perceived as a strong global player.
In addition to the arena of policy, the jobs of the future are also at stake. The most valuable jobs are those that cannot be automated because they require diligence, creativity, and adaptability to real-world situations. If the leading forces in the digital economy are all foreign companies, it is likely that this will have a negative impact on European technology jobs over time.
Looking at the public cloud, AWS, Microsoft and Google have a 72% market share in Europe. These U.S. companies are not only dominant in their own right, but are also technical leaders. In contrast, the market share of European cloud providers has dropped from 27% in 2017 to 13% today. Compared to U.S. organizations, European organizations have been far slower to adopt cloud technologies due to concerns about security and the whereabouts of data – ultimately hindering their digital effectiveness.
It would be unwise to prohibit European companies and governments from using the large public, U.S. cloud solutions. But halting action would also be unwise. The former would lead to a loss of competitiveness, the latter to a loss of independence.
Four practical immediate measures
Instead, the EU must encourage European companies to adopt different cloud technologies and also promote new interoperability standards. This can be done in four ways:
- Establish interoperability standards for the cloud:
Vendor or customer lock-in is not a new concept. Leaders in the computing industry, including public cloud providers, have long pursued a strategy that makes their customers dependent on their technologies. This is not conducive to digital efficiency. Enterprises need to be able to adopt a true hybrid and multi-cloud strategy, where they can choose the cloud infrastructures that are best suited for each of their use cases. The EU must play a role in promoting interoperability standards between clouds.
- Promote the adoption of Private Clouds:
Policymakers need to encourage the use of private clouds as an alternative to or in addition to public clouds. Enterprises adopting private clouds will benefit from similar efficiencies as public cloud while developing their own expertise in cloud technologies. Moving to public cloud means that this knowledge is outsourced to the cloud provider. In addition, organizations that adopt a private cloud know that they have control over their data and infrastructure. Often, it is the concern of losing that control that keeps companies from embracing the cloud and the digital efficiencies that come with it.
- Support the Buy European Act:
The IT industry is driven by innovation. For medium-sized companies, one of the biggest challenges is to operate sustainably. They do not have the resources to spend on research and development. To enable the emergence of European market leaders, European customers must be encouraged to prefer products from European companies over those from outside Europe. This will have a major impact and allow European companies to build critical mass, increase R&D budgets, and also gain an advantage over their competitors.
- Continue to fund the deployment of cloud infrastructures:
There are few scale-ups in the EU with cloud infrastructure in mind, especially those with an international presence. Although funding for scale-ups has improved over the past decade, these growing organizations remain underfunded compared to their U.S. counterparts.
We are only at the beginning of the digital transformation to the cloud, despite all the hype and international headlines. Spending on cloud infrastructure is consistently higher than on other technologies. IDC forecasts that cloud infrastructure costs will grow at a compound annual growth rate (CAGR) of 12% between 2021 and 2026. Accordingly, they will reach $134 billion in 2026, accounting for 67.9% of total compute and storage infrastructure spending.
Over the next 10 years, we will see a combination of private cloud, public cloud and edge, along with new, potentially paradigm-shifting technologies such as blockchain or quantum computing. For the EU to remain competitive and relatively independent in a constantly evolving industry, European companies must gradually become leading players in the digital economy.
Dr. Jakob Jung ist Chefredakteur Security Storage und Channel Germany. Er ist seit mehr als 20 Jahren im IT-Journalismus tätig. Zu seinen beruflichen Stationen gehören Computer Reseller News, Heise Resale, Informationweek, Techtarget (Storage und Datacenter) sowie ChannelBiz. Darüber hinaus ist er für zahlreiche IT-Publikationen freiberuflich tätig, darunter Computerwoche, Channelpartner, IT-Business, Storage-Insider und ZDnet. Seine Themenschwerpunkte sind Channel, Storage, Security, Datacenter, ERP und CRM.
Dr. Jakob Jung is Editor-in-Chief of Security Storage and Channel Germany. He has been working in IT journalism for more than 20 years. His career includes Computer Reseller News, Heise Resale, Informationweek, Techtarget (storage and data center) and ChannelBiz. He also freelances for numerous IT publications, including Computerwoche, Channelpartner, IT-Business, Storage-Insider and ZDnet. His main topics are channel, storage, security, data center, ERP and CRM.
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